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Der FREI DAY ist ein Lernformat von Schule im Aufbruch.

Der FREI DAY an der OBS Berenbostel

Die OBS Berenbostel hat zu Beginn des Schuljahres den FREI DAY in den Jahrgängen 5 bis 8 gestartet. Saidy Dettmer, didaktische Leitung, und Hendrik Anterhaus, Klassenlehrer, erzählen von ihren bisherigen Erfahrungen und den Chancen, die sie persönlich im FREI DAY sehen – insbesondere für die Schüler*innen.

Laura: Moin Saidy, moin Hendrik! Wie schön, dass ihr beide heute dabei seid! Ich habe schon mitbekommen, dass bei euch schulentwicklungsmäßig gerade viel in Bewegung ist. Wie kam es dazu, dass der FREI DAY ein Teil eurer Entwicklung geworden ist?

Saidy: Wir sind 2017 aus einer Haupt- und einer Realschule entstanden. Jetzt sind wir eine Oberschule, die hoch wächst. An der Hauptschule hatten wir schon ganz, ganz viele Strukturen, die so ähnlich waren, die aber einen anderen Namen hatten, z.B. “Herausforderung” oder “SMS” – Sozial macht stark, dabei engagieren sich die Schüler hier im Stadtteil. Und wir hatten schon immer am Freitag einen Projekttag. 

Dabei konnten die Schüler bereits eigenen Dingen nachgehen. Das war allerdings noch mehr vorgegeben und -strukturiert, aber man könnte das schon als eine Art Hinführung zum FREI DAY sehen. Als dann im Schule-im-Aufbruch-Netzwerk die Idee des FREI DAYs aufkam, war das etwas, wo wir sofort gesagt haben: “Da sind wir dabei, weil nicht nur wir als Lehrer immer die Fragen stellen wollen, sondern wir wollen, dass die Schüler wieder Fragen stellen.” 

Ich fand es auch sehr eindrücklich, wenn Margret in ihren Vorträgen davon erzählt hat, wie viel Kreativität während der Schulzeit verloren geht. Das fand ich wirklich schrecklich. Der FREI DAY ist in dieser Hinsicht ein tolle Möglichkeit: Man schafft unverzweckte Freiräume und gibt den Kindern so die Möglichkeit, an den Dingen zu arbeiten und zu recherchieren, die sie wirklich interessieren. In einem Rahmen, in dem keine Noten gegeben werden, sondern wir Lehrer nur zur Unterstützung da sind. 

Diese Vorstellung hat uns sehr angesprochen und wir haben den FREI DAY dann ziemlich schnell umgesetzt und entwickeln ihn immer noch weiter. Unter den aktuellen Distanz-Bedingungen liegt er allerdings gerade etwas brach, weil wir uns entschlossen haben, uns jetzt vor allem auf THEO zu konzentrieren, also das themenorientierte, fächerübergreifende Lernen in Deutsch, Mathe, Englisch, und unsere Entwicklung im Ganzen.

Laura: Wie und wann habt ihr denn genau mit dem FREI DAY gestartet?

Saidy: Eigentlich startete das schon letztes Schuljahr. Da gab es einige Kollegen, die gerne schon mal ein bisschen ausprobieren wollten. Das war aber noch nicht so richtig strukturiert, sondern wir hatten nur einen groben Rahmen geschaffen.

Zu Beginn dieses Schuljahres haben wir dann einen Kick-Off gestaltet, bei dem Tobias und Margret da waren. Seit dem Kick-Off gibt es den FREI DAY wirklich in allen Oberschulklassen von Jahrgang 5 bis 8. Wenn es wieder geht, ist es natürlich auch ein Ziel, dass sie sich untereinander vernetzen können.

Laura: Wie habt ihr es denn geschafft, alle Kolleg*innen und auch die Eltern mit ins Boot zu holen?

Hendrik: Tobias und Margret waren an den ersten drei Präsenztagen nochmal hier. An einem Fortbildungstag extra zum FREI DAY haben wir gemeinsam mit dem Kollegium Ideen entwickelt, wie wir den FREI DAY an unserer Schule umsetzen und gestalten wollen. 

Saidy: Wir hatten auch gemerkt, dass es für einige Kollegen sehr herausfordernd ist, so viel Freiheit von uns als Schulleitung zu bekommen. Also haben wir jetzt gemeinsam im Kollegium doch noch mehr Strukturen erarbeitet.  

Hendrik: Mit den Eltern war das – durch Corona – ein bisschen schwierig, weil man sie nicht einfach alle einladen konnte. Aber der FREI DAY ging durch den Schulvorstand und da waren auch die Elternvertreterinnen und -vertreter und die Schülervertreter*innen anwesend.

Außerdem sind die Eltern eigentlich von Anfang an im Boot – nicht nur wegen des FREI DAYs. Die Schulleitung führt immer ein ca. einstündiges Begrüßungsgespräch und dort werden die Eltern über alle Dinge, die hier an der Schule laufen, informiert. Das geht über den normalen Tag der offenen Tür hinaus. 

Wenn dieses Gespräch gelaufen ist, gibt es noch ein Extra-Gespräch mit den Klassenlehrkräften zu Beginn des 5. Schuljahres. Es ist also immer ein sehr enger Austausch. Dabei verdeutlichen wir, dass es uns um mehr als nur um Wissensvermittlung geht, sondern auch – und da passt der FREI DAY dazu – um Persönlichkeits- und Selbstwirksamkeitsentwicklung. 

Laura: Was für Projekte sind denn bisher im Rahmen des FREI DAYs entstanden?

Hendrik: Einige Schüler haben sich bei der Schulleitung vorgestellt und um Unterstützung gebeten, weil sie einen Brunnen in Afrika bauen wollen. Das ist z.B. schon etwas Großes, was auch langfristiger angelegt ist. Einige hatten sich gefragt: „Warum heißt Hautfarbe Hautfarbe?“ Diese Gruppe aus der achten Klasse wollte dann in einen Kindergarten fahren und mit denen Farben besprechen und dann dazu kommen, dass es eigentlich gar nicht die Farbe ‘Hautfarbe’ gibt. 

Andere hatten sich gefragt, was der Zusammenhang zwischen Armut und Bildung ist. Dafür haben sie Kontakt zum Deutschen Kinderhilfswerk aufgenommen und wollten ein Interview durchführen mit der Pressesprecherin und fragen, was man da bei uns hier in Garbsen machen kann.

Saidy: Bei dem Kick-Off hatten wir auch nochmal einen Input von außen: Thomas und Feli von Greenpeace waren dabei. Wir haben nämlich gemerkt, dass viele Schüler und Schülerinnen erstmal Schwierigkeiten hatten bei der Themenfindung und sich zunächst nicht vorstellen konnten, was es alles für Themen gibt. Daher wollen wir auch in Zukunft immer mal wieder Externe einladen. 

Hendrik: Wenn man es mal prozentual sagen würde: Die, die direkt auf Projektideen gekommen sind, sind so ca. 20 bis 30 Prozent. Die anderen sind alle erstmal im Recherche-Modus. Da ist es natürlich dann unsere Rolle als Lehrkraft, gemeinsam mit den Schülern zu gucken, wie sich aus der Recherche ein konkretes Projekt entwickeln kann.

Saidy: Genau, die Schüler wissen ja oft nicht, wie die einzelnen Projektphasen aussehen und was für Möglichkeiten bestehen. Dann ist es unsere Rolle, diese Möglichkeiten aufzuzeigen und zu sagen, dass die Schüler z.B. diese Person befragen, dort anrufen oder eine E-Mail schreiben können o.Ä.

Hendrik: Genau, da sind wir dann mit dabei. Es taucht ja auch immer wieder die Kritik auf, dass die Schülerinnen und Schüler machen können, was sie wollen. Das kann für manche schwer auszuhalten sein, aber mir ist aufgefallen, dass die Kinder dabei sehr, sehr viel lernen. 

Eigentlich lernen sie z.B. E-Mails schreiben im Deutschunterricht. Aber wie schnell haben sie das wieder vergessen, weil sie es eben nur im Deutschunterricht machen und nie wirklich im Leben anwenden. Sie merken dann erst später nach der Schule: „Ah, dafür musste ich Grußformeln lernen. Deswegen brauche ich die Rechtschreibung.“ Auch das freie Sprechen am Telefon fällt gerade jüngeren Schülerinnen und Schülern ganz schwer. Auch in Videokonferenzen merkt man das. Das sind dann aber Kompetenzen, die, die Schülerinnen und Schüler beim FREI DAY lernen. 

Aus unserer Sichtweise auf Schule, geht es in der Schule eben nicht nur um Wissensvermittlung, sondern um viele weitere Kompetenzen, die manchmal gar nicht in irgendwelchen KCs formuliert sind oder bei denen es sich eher um übergeordnete Kompetenzen handelt. 

Saidy: Ich glaube, dass es so etwas Wunderbares ist, was da passiert, was man eigentlich nicht genau in Worte fassen kann. Es ist schwer zu bestimmen, was genau die Schüler im einzelnen am FREI DAY lernen. Das ist, wie du sagst, Hendrik, super vielfältig. 

Was die Schüler und Schülerinnen eigentlich wirklich groß macht, ist, dass sie selber lernen und Selbstwirksamkeit erfahren und dabei merken: „Ich kann etwas bewirken. Ich kann ein Projekt starten und die anderen nehmen mich ernst. Ich habe vielleicht sogar erwachsene Kooperationspartner, die mit mir zusammen arbeiten.“ Das macht ja etwas mit den Kindern und Jugendlichen. Wir sehen da einfach ganz vielfältige Chancen am FREI DAY.

Hendrik: Genau, diese Chancen sind eben sehr individuell. Ich habe z.B. einen Schüler, der arbeitet im normalen THEO gar nicht, weil es ihn nicht interessiert. Aber sobald es um den FREI DAY geht, ist er intrinsisch motiviert, weil er sich mit Musik auseinandersetzen kann. Da ist er fachlich super fit!

Das ist für mich besonders beeindruckend: Diese intrinsische Motivation von den Schülerinnen und Schülern zu sehen, die ansonsten im normalen THEO oder Unterricht kaum etwas machen und am FREI DAY richtig in Aktion treten. Da sehe ich, wieviel sie eigentlich leisten können.

Das ist vielleicht auch ein Aspekt, warum sich einige Lehrer mit dieser Art des Arbeitens schwer tun: Ansonsten haben wir als Lehrerinnen und Lehrer einen riesengroßen Wissensvorsprung den Schülerinnen und Schülern gegenüber – beim FREI DAY ist das anders. Wenn da jemand zu mir kommt und mich etwas Fachliches fragt, dann muss ich oft sagen: „Sorry, das weiß ich gerade nicht. Frag entweder jemand anders oder wir informieren uns beide und treffen uns in einer halben Stunde wieder und dann können wir nochmal gemeinsam gucken.“ Da spielt eben auch die Haltung wieder mit rein. 

Saidy: Das ist auch ein Prozess bei uns Lehrern – hin zum Lernbegleiter. Ich glaube, es fällt uns oft schwer auszuhalten, dass die Kinder Irrwege gehen. Aber es ist eben wichtig, diese zuzulassen und auch wertzuschätzen. 

Wir sehen unsere Aufgabe beim FREI DAY dann eher darin, die Schüler zu fragen, wie sie das denn schaffen können und welche Unterstützung sie dafür brauchen. Das ist auch eine Veränderung in der Rolle, von der wir, denke ich, generell viel in den anderen Unterricht mit einfließen lassen können. 

Laura: Ihr habt gerade schon von vielfältigen Veränderungen durch den FREI DAY gesprochen. Was war für euch persönlich am beeindruckendsten?

Saidy: Ich finde die Forumsstunde – also so eine Präsentation am Ende der Woche – sehr bewegend, bei der Ergebnisse vom FREI DAY präsentiert werden. Da zu sehen, wie die Schülerinnen und Schüler sich entwickelt haben und wie anders sie waren in dem Kontext, das hat mich schon sehr beeindruckt. Das sind ganz andere Kinder als in dem „normalen“ Unterricht, in dem sie oft nicht so viel Anerkennung oder Wertschätzung bekommen, weil sie nicht die erwünschte Leistung erbringen. 

Der FREI DAY bietet eine Möglichkeit zu erkennen, dass die Kinder noch viel mehr Kompetenzen und Fähigkeiten haben, die sonst nicht gefragt sind. Das ist total schön, diese Begeisterung zu sehen und zu sehen, wie einige Schüler die anderen mitgenommen haben – das kann ich als Lehrer nicht so gut schaffen. Ich habe da wirklich gemerkt, wie toll das ist, wenn Schüler mit Schülern arbeiten, sie motivieren und ihnen etwas vorstellen. 

Es ging z.B. darum, dass wir hier weniger Plastik verwenden wollen. Dazu haben sie auf der Bühne so energisch zum Appell an alle aufgerufen. Es hat sehr berührt, mit wie viel Herz sie daran gegangen sind. Und ich habe gemerkt, dass die das wirklich wollten: „Mensch geht nicht mehr in den Laden und kauft nicht mehr diese und jene Verpackung. Unterstützt das nicht, geht da hin und sagt, wir wollen das nicht mehr kaufen.“ Das sind dann oftmals Schüler*innen, die sonst nicht so positiv in Erscheinung treten oder sehr schüchtern sind. Ich habe sie dabei einfach nochmal anders erlebt. Das ist das, was mich aus meiner Position heraus sehr berührt hat.

Hendrik: Wir sehen diese Forumsstunde als wichtiges Präsentationselement an. Es würde eben nicht ausreichen, dass die Kids das erarbeiten und das dann nur für die Klassengemeinschaft und vielleicht noch für den Jahrgang sichtbar wird, sondern in dieser Forumsstunde wird es öffentlich sichtbar. Da können z.B. auch Eltern hinkommen. Die Formusstunde wird dann übrigens auch immer von einer Klasse organisiert und als Lehrkraft ist man da eigentlich nur im Hintergrund tätig.

Es ist aus meiner Sicht ganz elementar für den FREI DAY, eine Form der Präsentationsmöglichkeit zu geben. Das fällt natürlich gerade in Corona-Zeiten schwer, weil wir das dann nur in der Kohorte machen können oder ansonsten über eine Videokonferenz. 

Laura: Ihr hattet vorhin bereits kurz Kooperationspartnerschaften angesprochen. Mit was für Kooperationspartner*innen arbeitet ihr denn aktuell zusammen?

Saidy: Wir haben jetzt seit 12 Jahren bei uns an der Schule „Sozial macht stark“. In diesem Zusammenhang gibt es schon seit Jahren Kooperationen mit der Stadt Garbsen, mit örtlich ansässigen Vereinen und Organisationen. Die können wir natürlich nutzen und davon im Rahmen des FREI DAYs profitieren. 

Außerdem haben wir mit Tobias nochmal eine Tabelle erstellt, in der wir zusammengetragen haben, welche Interessen und Kontakte jeder Kollege von uns hat. Dabei kann mit einem Stichwortverzeichnis bzw. Stichwortsuche gearbeitet werden. Das fand ich ganz toll! 

Hendrik: Der letzte größere Kontakt, der aktuell durch den Lockdown eingestellt ist, ist die Kooperation mit der Uni Hannover. Zwei Promovierende leiten dort ein Seminar, das vor allem von Lehramtsstudierenden besucht wird.

Die waren hier an der Schule und wollten ursprünglich an drei Tagen den FREI DAY begleiten. Einige von denen waren wirklich nur als Lernbegleiter da: Die sind morgens in die Gruppe gekommen und haben sich einem Thema zugeordnet, das sie auch persönlich interessiert. Andere haben eine Kick-Off-Veranstaltung gemacht.

In Jahrgang 6 passte das gerade gut und dann haben sie dort einen Kick-Off zu Achtsamkeit gemacht und haben Achtsamkeitsübungen durchgeführt u.Ä. Aus diesem Kick-Off sollten sich dann ein neue Themen für die Schülerinnen und Schüler generieren. 

Aufgrund von Corona mussten die Folgetermine gestrichen werden, aber das führen wir auch weiter, sobald es wieder möglich ist. Das ist für beide Seiten immer super: Wir haben externe Partner und die Studis bekommen einen Einblick in die Schulpraxis, können sich ausprobieren und da ganz viel mitnehmen.

Laura: Das klingt klasse! Gibt es noch etwas, was ihr zum FREI DAY ergänzen wollt?

Saidy: Ich glaube, generell ist der FREI DAY noch ausbaufähig. Aber es ist total schön, dass er schon so gut von den Kollegen angenommen wurde. Die meisten meinen, dass es schon manchmal wuselig ist, aber trotzdem wollen sie den FREI DAY nicht mehr missen. Es geht glaube ich nicht nur mir so, dass die Ergebnisse berühren. In Präsenz freuen wir uns schon wieder sehr darauf!

Hendrik: Ja, auf jeden Fall!

Laura: Ich wünsche euch dann einen tollen Wiederstart mit dem FREI DAY! Danke für eure Zeit und das inspirierende Gespräch!

 Tipps & Tricks von der OBS Berenbostel

  • Kick-Off-Veranstaltung: Zum Start des FREI DAYs hat die OBS Berenbostel einen Kick-Off veranstaltet, an dem Tobias und Margret von SiA sowie weitere externe Expert*innen dabei waren. So konnten die Schüler*innen voller Motivation in den FREI DAY starten und erste Projektideen bekommen.
  • Forumsstunde: Die öffentliche Forumsstunde bietet den Schüler*innen eine Möglichkeit, ihre Projekte zu präsentieren. An der OBS Berenbostel wird die Forumsstunde jeweils von einer Klasse selbstständig organisiert. So können sie die Veranstaltung an ihre Projekte anpassen.
  • Kooperationen mit Universitäten: Die Zusammenarbeit mit Universitäten kann auch am FREI DAY sehr bereichernd sein. Die OBS Berenbostel arbeitet bspw. mit einem Seminar der Universität Hannover zusammen. Die Studierenden können am FREI DAY z.B. als Lernbegleiter*innen agieren oder Kick-Off-Veranstaltungen zu bestimmten Themen anbieten, aus denen dann wiederum Projektideen entstehen können.

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