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Der FREI DAY ist ein Lernformat von Schule im Aufbruch.

Der FREI DAY am RecknitzCampus Laage

Die Grundschule ist Teil der kooperativen Gesamtschule „RecknitzCampus“ in Laage im Landkreis Rostock. Nancy Bänsch hat dort in einer 1. Klasse bereits Anfang letzten Jahres den FREI DAY eingeführt. Sie und ihr Sohn Ben erzählen davon, wie der FREI DAY an ihrer Schule stattfindet.

Hallo Ben, hallo Nancy! Ich freue mich sehr, dass ihr beide heute von eurem FREI DAY berichtet. Erstmal zu dir, Ben, in welche Klasse gehst du denn?

Ben: In die erste Klasse.

Was sind deine Lieblingsfächer?

Ben: Sport und Werken – und Deutsch auch.

Und von Anfang an hattest du schon den FREI DAY?

Ben: Ja.

Was machst du denn am FREI DAY?

Ben: Da basteln wir Sachen und wir dürfen uns aussuchen, was wir basteln. Manchmal basteln wir ein Boot aus Milchpackungen, damit wir nicht so viel Müll verschwenden. Ein Vogelhäuschen haben wir auch aus Milchpackungen gemacht. Und Mo hat ein Rennauto gebastelt aus Milchpackungen, Deckeln, Zahnstochern, Toilettenpapierrollen und auch Joghurt.

Oh, schön! Wie fangt ihr denn an beim FREI DAY?

Ben: Erst kommt eine Durchsage: “Alle Kinder vom FREI DAY kommen jetzt ins Foyer.” Wir treffen uns im Foyer und wir begrüßen uns – alle ersten Klassen und alle zweiten Klassen, also alle Englischklassen.

Nancy: Genau, die Immersionsklassen. Wir sind eine Schule, die Immersionslernen durchführt. Das heißt, wir fangen mit Mathe, Sachunterricht und Werken immer auf Englisch an. Das stellt natürlich eine Herausforderung dar, den FREI DAY komplett auf Englisch durchzuführen – gerade weil die Erstklässler noch kein Englisch sprechen. Auch deswegen gestalten wir den jahrgangsübergreifend, damit die Drittklässler den Erstklässlern helfen können. Und im Foyer fragen wir dann immer, ob es irgendwelche Probleme o.Ä. gibt und was besprechen wir da noch?

Ben: Dass jeder in seine Gruppe gehen soll und dann gehen wir in unsere Gruppen und basteln und lernen was.

Nancy: Genau, du bist in der Gruppe mit dem Müll, da bastelt ihr viel, die anderen lesen auch viel Bücher und suchen sich da Materialien raus. Jeder kann sich zu einem Thema zuordnen. Die Kinder dürfen dann aber an dem Tag selber auch noch wechseln, wenn sie z.B. gehört haben, dass die anderen etwas machen, was sie sehr interessiert.

Wo warst du denn überall dabei, Ben?

Ben: Bei Technik und jetzt bei Müll.

Nancy: Und bei Müll bist du geblieben. Ganz zu Beginn des FREI DAYs haben wir erstmal überlegt, wie wir die Welt verändern bzw. verbessern können. Das haben wir gemeinsam auf Zetteln gesammelt. 

Weißt du noch, was du mit deiner Gruppe aufgeschrieben hast, wie ihr die Welt verbessern könnt?

Ben: Dass man seinen Müll in die verschiedenen Mülleimer schmeißen soll.

Ein wichtiger Punkt! Wie ist das denn, wenn ihr fertig seid am Ende des FREI DAYs?

Ben: Dann räumen wir auf und treffen uns nochmal im Foyer und wir sagen, was wir heute gelernt haben und verabschieden uns.

Nancy: Genau, dann kriegt jeder nochmal die Chance, dass er den anderen mitteilt, was sie heute gemacht haben, was sie gelernt haben und welche Probleme da sind.

Dir schon mal Dankeschön, Ben!

Ben: Tschüss!

Tschüss! Wenn ich das richtig verstanden habe, machen also bei euch eine erste und eine zweite Klasse den FREI DAY?

Nancy: Wir haben seit diesem Jahr eine erste, eine zweite und eine dritte Klasse, die den FREI DAY machen. Ich bin die Klassenlehrerin von der zweiten Klasse und habe damit schon letztes Jahr angefangen. 

Vielleicht nochmal kurz dazu, wie sich das Ganze überhaupt entwickelt hat: Wir sind eine BNE-Modellschule. Irgendwann war Margret Rasfeld hier und hat uns von dem FREI DAY-Projekt erzählt und davon, wie man das machen kann. Ich habe mir dann gedacht: „Das ist eine coole Sache, wenn die Kinder selber entscheiden, wie sie die Welt retten können und was sie heute lernen möchten.” 

Das habe ich dann ausprobiert. Allerdings hatte ich damals noch keine Ahnung, was ich wie machen soll und hatte gar keine richtige Vorstellung davon. Ich habe nur gedacht: “Wenn die Kinder selber entscheiden dürfen, dann lernen sie vielleicht viel mehr, als wenn man denen das vorgibt.”

Angefangen habe ich dann mit Logo-Nachrichten. Da war ein Mädchen auf den Philippinen, die ihr Haus höher bauen musste wegen Überschwemmungen. Wir haben dann überlegt, woran das liegen könnte und haben so den Zusammenhang zum Klimawandel hergestellt und darüber viel gesprochen. 

Darüber hinaus haben wir überlegt, wie wir dem Mädchen helfen können. Die Kinder wollten natürlich gleich hinfliegen. Ich habe ihnen dann erklärt, dass hinfliegen eher nicht so gut ist und gefragt, wie wir dem Mädchen von hier aus helfen können. Dann haben wir gemeinsam in meiner Klasse überlegt: „Wie und was können wir machen für die Umwelt?“ Dafür haben wir eine Liste erstellt mit ganz vielen Ideen von den Kindern. 

Unser erstes großes Ziel war dann eine funktionierende Mülltrennung bei uns an der Schule. Wir haben nämlich festgestellt, dass wir bei uns in der Schule immer getrennt die Sachen in die Mülleimer schmeißen, aber unsere Reinigungskraft die Müllbeutel nimmt und alles in eine große Mülltüte schmeißt. Die Kinder haben sich dann natürlich gefragt, warum sie sich diese Mühe machen. Derjenige aus der ersten Klasse, der schon schreiben konnte, hat dann an die Reinigungskraft geschrieben: Warum kommt der Müll in eine Mülltüte? 

Dann kam die Reinigungskraft und hat ihnen erklärt, dass sie das zeitlich nicht schafft, das alles einzeln rauszubringen. Wir haben also überlegt, wie wir das Problem lösen können. Die Kinder hatten die Idee, dass sie den Müll alleine rausbringen und haben Müll-Dienste eingeführt. Von dem Tag an haben sie den Müll immer alleine rausgebracht, bis dann Corona kam. Aber das ist eine Sache, die wir danach auf jeden Fall weitermachen. 

Auch andere Kollegen waren total begeistert von der Lösung des Müllproblems, obwohl das im Prinzip so einfach gewesen ist. Aber es musste eben erstmal die Idee von den Kindern aufkommen: „Wir helfen der Reinigungskraft und bringen den Müll raus.“ Da waren sie auch ganz stolz drauf!

Wie seid ihr sonst noch zu den Themen am FREI DAY gekommen?

Nancy: Jeden Mittwoch haben wir uns erstmal im Kreis getroffen. Ich habe immer so Fische hingelegt, die Gefühle ausdrücken. Die Kinder konnten dann sagen, wie sie sich gerade fühlen. Z.B. gab es einmal einen Fisch, der ganz traurig war. Dann haben sie erzählt, warum sie traurig sind und haben erzählt, dass ihnen ein Kind aus der Klasse sehr fehlt, dass Leukämie hat. Also haben wir einen Tag lang über Leukämie gesprochen und darüber, was wir für das Kind machen können. Wir haben dann z.B. ein Foto gemacht und Bilder gemalt. 

Ein anderes Mal war jemand traurig und hatte von Krieg gesprochen. Wir haben festgestellt, dass wir an der Schule Kinder aus verschiedenen Ländern haben, z.B. aus Syrien. Und da kamen erstmal komische Gerüchte auf. Also habe ich ein Mädchen aus der Nachbarklasse, dass aus Syrien geflohen ist, gefragt, ob sie uns ein paar Fragen beantworten würde. Sie ist dann zu uns in die Klasse gekommen und so haben sie dann etwas über den Krieg dort gelernt und warum die Kinder geflüchtet sind. 

Hast du dir dann für deinen FREI DAY immer eine bestimmte Stundenanzahl genommen?

Nancy: Ja, wir haben Blöcke mit jeweils 80 Minuten. Davon habe ich zwei genommen – von meinem Sachunterricht und meinem Werkunterricht, weil wir auch manchmal Sachen gebastelt haben. Beim Sachunterricht gehört Umwelt ja sowieso dazu. Auch den Deutschunterricht, den ich nicht in meiner Klasse habe, könnte man sonst prinzipiell mit reinnehmen, weil sie z.B. Briefe schreiben oder eine Mindmap machen. Außerdem legen wir Wert darauf, dass sie sich die Informationen, die sie gesammelt haben, aufschreiben. Für die Kinder ist das dann nämlich einfacher wiederzugeben. 

Wie kam es dazu, dass ihr den FREI DAY mittlerweile in drei Klassen habt?

Nancy: Erstens haben wir vor, uns als Schule ein bisschen neu zu strukturieren und haben überlegt, wie wir das mit dem jahrgangsübergreifenden Lernen hinbekommen. Das ist ja im Zusammenhang des FREI DAYs wirklich wichtig. Ich habe mir also Kolleginnen gesucht, mit denen ich gut klar komme, ihnen vom FREI DAY erzählt und sie gefragt, ob sie daran mitwirken möchten.

Ende August haben wir dann angefangen, nachdem die 1. Klassen ein bisschen angekommen waren. Seitdem und bis zum Distanzlernen haben wir uns immer donnerstags zum FREI DAY getroffen und haben überlegt: Wie können wir die Umwelt verbessern? Wie können wir die Welt retten?

Jetzt arbeitet ihr jahrgangsübergreifend – woher habt ihr diese Stunden genommen? 

Nancy: Aktuell haben wir da ca. 120 Minuten zur Verfügung. Das ist ein Blog vom Sachunterricht, plus wir haben am Anfang immer eine individuelle Lernzeit von 40 Minuten. Wenn wieder “Normalität” eintritt, ist es aber unser Plan, dass wir wirklich vier Unterrichtsstunden zur Verfügung haben. 

Einige Kolleg*innen konntest du ja schon vom FREI DAY begeistern. Wie war das denn bei den Eltern? Wie war ihre Reaktion?

Nancy: Bei mir sind die Eltern Feuer und Flamme dafür gewesen. Die Kinder tragen tatsächlich auch einiges nach Hause in die Familie weiter: Am Anfang hatten wir ja ganz viele Themen gesammelt und eine Sache war Palmöl. Die Kinder haben sich gefragt, warum Palmöl so problematisch sei. Wir haben eine Powerpoint-Präsentation dazu fertig gemacht und dabei gezeigt, dass der Lebensraum von den Gorillas bei dem Anbau der Palmölpflanzen vernichtet wird. 

Danach bin ich ganz spontan mit den Kindern losgegangen – bei uns um die Ecke ist ein Edeka – und wir haben geguckt, in welchen Lebensmitteln Palmöl drin ist. Sie waren alle total geschockt, weil in Nutella Palmöl drin ist! Dann sind wir weitergegangen zur Pizza und haben da geguckt, dann bei der Salami und so weiter.

Als die Kinder nach Hause gegangen sind, haben sie ihren Eltern wirklich gesagt: „Ihr müsst ohne Palmöl einkaufen.“ Die Eltern haben dann nach den Gründen gefragt und haben sich aufklären lassen. Die Kinder sind wirklich weiterhin rigoros dabei geblieben: „Nein, wir essen kein Nutella mehr.“ 

Auch als wir ein besonderes Frühstück zur Zeugnisausgabe hatten, haben die Kinder wirklich nur Sachen mitgebracht, in denen kein Palmöl war. Also es funktioniert wirklich total toll, dass die Kinder das, was sie im Rahmen des FREI DAYs lernen mit nach Hause nehmen. Sie achten jetzt z.B. auch darauf weniger Müll zu produzieren, den Müll nochmal upzucyclen und solche Sachen. 

Du hast ja vorhin schon erzählt, wie der FREI DAY abläuft. Wie ist das für dich als Lehrerin? Was machst du währenddessen?

Nancy: Im Prinzip bin ich ein Organisator. Immer wenn irgendetwas gebraucht wird, dann renne ich los und hole das. Also wenn jemand z.B. Stoffreste gefunden hat und einen Schal daraus basteln oder ein Tuch nähen will, dann renne ich los und suche in der Schule Nadel und Faden. 

Oder wenn jemand irgendwelche Informationen über die Biene sucht, dann bin ich diejenige, die aufzeigt, wo diese Informationen zu finden sind. Wir haben z.B. eine Kiste mit ganz vielen passenden Büchern. Ich bin also wirklich nur dazu da, Dinge zu organisieren und gelegentlich Anregungen zu geben.

Es ist zwar anstrengend, das muss ich zugeben, weil man immer von A nach B rennt. Aber vielleicht auch, weil unsere Gruppen relativ groß sind. Bei mir in der Gruppe sind z.B. immer ungefähr 15 Kinder drin, weil wir eben nicht so viele Kollegen haben, dass sie sich mehr aufteilen könnten.

Was für Veränderungen konntest du sonst noch bei deinen Schüler*innen beobachten?

Nancy: Veränderungen vor allem in dem Sinne, dass sie sich wirklich gegenseitig erziehen mit dem Müll. Wenn sie Müll irgendwo herumliegen sehen, dann nehmen sie den und packen den in den Mülleimer. Auch als Mama kann ich sagen, dass sich ganz viel verändert. Also wenn wir hier nach Hause kommen, dann ist das Thema Klimawandel ganz groß. Wir als Familie diskutieren jetzt, ob wir nicht einen Veggie-Day einführen. Und Ben sagt auch immer, wenn wir jetzt irgendeine Lebensmittelverpackung haben: „Mama, das dürfen wir nicht wegschmeißen, da können wir noch das und das draus bauen.“ 

Wenn ich überlege, dass man bei so kleinen Kindern mit Kleinigkeiten anfangen kann und die das dann weiter tragen. Wenn jeder das machen würde, wenigstens nur ein bisschen, dann verändert man tatsächlich schon die Welt. Und wenn die Kinder das realisieren: „Ich kann alleine die Welt verändern.“ Dann – ich habe gerade Gänsehaut – dann ist das schon eine tolle Sache!

Ja, vor allem, wenn sie damit schon ab der ersten Klasse starten! Ich bin gespannt, wie es da bei euch weitergeht. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast und lieben Dank auch nochmal an Ben!

Tipps & Tricks vom RecknitzCampus:

  • How can we save the world?: Als Einstieg in den FREI DAY haben die Schüler*innen Ideen gesammelt, wie sie selbst die Welt verändern können. Diese Sammlung bietet eine Grundlage für die Projektideen. 
  • Start und Abschluss im Foyer: Am RecknitzCampus starten alle Schüler*innen gemeinsam im Foyer in den FREI DAY. Dort wird nach aktuellen Herausforderungen gefragt. Nach der Projektzeit kommen alle wieder im Foyer zusammen und teilen, was sie heute gelernt haben. Außerdem haben sie die Möglichkeit Ergebnisse zu präsentieren.
  • Gefühlsfische: Als Start in den FREI DAY wurden auch Gefühlsfische verwendet. Durch das Gespräch darüber, warum die Schüler*innen gerade traurig, wütend, fröhlich,…sind, können neue Ideen für Projekte entstehen.

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