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Der FREI DAY ist ein Lernformat von Schule im Aufbruch.

Der FREI DAY profitiert von einer wissenschaftlichen Begleitung

Offene Unterrichtskonzepte und Projektunterricht können bereits auf eine lange Tradition in der Schullandschaft zurückblicken.

Empirische Studien belegen, dass durch offene Unterrichtsformen vielfältige hochrelevante Kompetenzen wie Selbststeuerung und Selbstdisziplin, Eigeninitiative und Kooperationsbereitschaft sowie positive Einstellungen gegenüber dem Lernen unterstützt werden können (vgl. Riekmann 2014, S. 102; Lähnemann, 2009, S. 40). Diese Effekte treten allerdings nur dann ein, wenn offene Unterrichtsformen professionell gestaltet und begleitet werden, d.h. eine Balance zwischen Freiheit und Struktur gegeben ist und Schülerinnen und Schüler über konstruktives Feedback in ihren Lernprozessen unterstützt werden. Trotz der empirisch gesicherten pädagogischen Bedeutung offener Lernsettings und der Verankerung derselben in den Bildungsplänen aller Schulformen und Bundesländer nehmen diese einen vergleichsweise geringen Anteil der Lernzeit ein (vgl. Rengstorf & Schumacher, 2010, S. 30). Das Konzept des FREI DAYs setzt an diesen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen bezüglich des offenen Unterrichts an, geht jedoch in seinen pädagogischen Möglichkeiten deutlich über das bisher Erreichte hinaus: 

Der FREI DAY bietet Kindern und Jugendlichen in besonderem Maße Autonomie- und Partizipationsmöglichkeiten und trägt dem Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention auf freie Meinungsäußerung aller Kinder Rechnung (vgl. Büker et al. 2018, S. 109). Aktuelle Forschungen deuten bis jetzt auf eine insgesamt geringe Ausprägung von Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule hin (vgl. aktuelle Children‘s Worlds+ Studie von Andresen et al. 2019, S. 30; Moldenhauer 2015, S. 85; Weber, Winklhofer, Bacher, 2008, S. 317ff.). Schülerinnen und Schüler erleben aber gerade die Unabhängigkeit von (handlungsmächtigeren) Erwachsenen als relevant für das Erleben von Selbstwirksamkeitserfahrungen und Selbstinitiative (vgl. Velten, 2019, S. 175; Velten et al. 2019, S. 227ff.). 

Partizipativ gestalteter Unterricht kann somit auch zu einer Stärkung von Selbstwirksamkeit und Selbstbefähigung beitragen. Zahlreiche Studien belegen, dass Selbstwirksamkeit Einfluss auf Ausdauer und Anstrengung bei der Bewältigung einer Aufgabe hat und schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenzen bewältigt werden können (vgl. Barysch, 2016, S. 202). Durch Erleben von Selbstwirksamkeit werden Handlungssituationen positiv bewertet (vgl. Velten, 2019, S. 167), eine Aufrechterhaltung der geplanten Handlung gegenüber Widerständen unterstützt (vgl. Barysch, 2016, S. 202) und höhere Frustrationstoleranzen erreicht (vgl. Kolbe, 1999, S. 3). Der Selbstwert eines Kindes scheint darüber hinaus grundsätzlich eine entscheidende Rolle für die Fähigkeit zur Empathie zu spielen, da das Gefühl der eigenen Zufriedenheit sich förderlich auf das Mitfühlen und das Hineinversetzen in andere Menschen auswirkt (vgl. Funk, 2016, S. 61ff.). Die Umsetzung der partizipativen Strukturen des FREI-DAYS ermöglicht daher auch die Stärkung einer Verantwortungsübernahme und der damit einhergehenden Demokratiefähigkeit als grundlegende zukunftsrelevante Kompetenzen (vgl. Sting & Sturzenhecker, 2013; Riek & van Ophuysen, 2013, S. 271). 

Im Rahmen des FREI DAYs erhalten Schülerinnen und Schüler die Chance, ihren eigenen Fragen forschend nachzugehen und in gemeinsamen und kreativen Design-Thinking-Prozessen sinnvolle Projekte für ihre individuelle und die gesamte Lerngruppe betreffende Entwicklung zu initiieren. Indem diese Projekte der Schülerinnen und Schüler ernstgenommen und eine konsequente Berücksichtigung bei der Entwicklung künftiger Maßnahmen und Handlungsschritte in Schule finden (vgl. Büker et al. 2018, S. 109), kann durch den FREI-DAY das Recht des Kindes auf Mitbestimmung und auf Beteiligung an Veränderungsprozessen auf hohem Niveau eingelöst werden. Um weiterführende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Förderung der beschriebenen Kompetenzen als Grundlage für die qualitätsvolle Entwicklung von zukunftsfähigen Schulen gewinnen zu können, sind evaluierte Modellversuche wie der FREI-DAY unerlässlich und eine systematische empirische Erhebung der Perspektiven aller beteiligten Akteure absolut notwendig. Über die geplante Evaluation des Modellversuchs entstehen wissenschaftlich gesicherte Befunde, auf deren Basis ein Transfer dieses zukunftsträchtigen Modells in die deutsche Schullandschaft erfolgen kann.

Literatur

  • Andresen, Sabine; Wilmes, Johanna; Möller, Renate (2019): Children’s Worlds+. Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. 1. Auflage. Online verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/childrens-worlds/.
  • Barysch, Katrin Nicole (2016): Selbstwirksamkeit. In: Dieter Frey (Hg.): Psychologie der Werte. Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie. 1. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 201-211.
  • Büker, Petra; Hüpping, Birgit; Mayne, Fiona; Howitt, Christine (2018): Kinder partizipativ in Forschung einbeziehen – ein kinderrechtsbasiertes Stufenmodell. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung/Discourse. Journal of Childhood and Adolescence Research H.1, S. 109-114.
  • Funk, Lena (2016): Empathie. In: Dieter Frey (Hg.): Psychologie der Werte. Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie. 1. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 53-65.
  • Kolbe, Matthias (1999): Das Erleben eigener Wirksamkeit im Zusammenhang mit Schulleistungen, Lernfreude und Klassenklima. In: Matthias Jerusalem und Ralf Schwarzer (Hg.): Förderung von Selbstwirksamkeit bei Schülern und Lehrern. Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs Verbund Selbstwirksame Schulen. Berlin, S. 3-24.
  • Lähnemann, Christiane (2009): Freiarbeit aus SchülerInnenperspektive. Studien zur Schul- und Bildungsforschung. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.
  • Moldenhauer, Anna (2015): Dialetik der Partizipation. Erfahrungen von Schüler/-innen mit Partizipation in Gemeinschaftsschulen. In: Zenke, Christian Timo (Hg.). Differenz erleben – Gesellschaft gestalten. Demokratiepädagogik in der Schule. Schwalbach: Wochenschau Verlag.
  • Rengstorf, Felix; Schumacher, Christine (2010): Projektarbeit und Projektunterricht in der schulischen Wirklichkeit – ein Niemandsland in der empirischen Unterrichtsforschung? In: TriOS 5 (2), S. 23-56.
  • Riek, Kim; van Ophuysen, Stefanie (2014): Kriterien der Übergangsempfehlung – Eine qualitative Interviewstudie mit Grundschullehrkräften. In: Bärbel Kopp und Béatrice Arend (Hg.): Individuelle Förderung und Lernen in der Gemeinschaft. 21. Jahrestagung der Kommission Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe 2012 in Nürnberg. Wiesbaden: Springer VS (Jahrbuch Grundschulforschung, 17), S. 270-273.
  • Riekmann, Barbara (2014): Über das eigene Lernen entscheiden. Teilhabe und Mitbestimmung im Unterricht. In: Beutel, Wolfgang, Gille, Martina, Seifert, Anne, Stecher, Ludwig, Tillmann, Klaus-Jürgen. Engagement und. Partizipation. Wissen für Lehrer. Hannover: Friedrich-Verlag.
  • Velten, Katrin (2019): HandlungsSpielRäume – Selbstwirksamkeitserfahrungen von Kindern in Kindertageseinrichtung und Grundschule. In: Zeitschrift für Grundschulforschung (12), S. 165-179.
  • Velten, Katrin; Schroeder, Rene; Miller, Susanne (2019): Kinder mit BISS – Erleben von Selbstwirksamkeit und Interesse in der Grundschule. In: Christian Donie, Frank Foerster und Marlene Obermayr (Hg.): Grundschulpädagogik zwischen Wissenschaft und Transfer. 1st ed. 2019 (Jahrbuch Grundschulforschung), S. 227-232.
  • Weber, Christoph; Winklhofer, Ursula; Bacher, Johann (2008): Partizipation von Kindern in der Grund- und Sekundarschule. In: Christian Alt (Hg.): Kinderleben – Individuelle Entwicklungen in sozialen Kontexten. Band 5: Persönlichkeitsstrukturen und ihre Folgen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden, S. 317-343.

Autor*in

Petra Büker

Petra Büker ist Professorin im Arbeitsbereich Grundschulpädagogik und Frühe Bildung an der Uni Paderborn und bildet dort angehende Lehrer*innen aus.

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