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Der FREI DAY ist ein Lernformat von Schule im Aufbruch.

Der FREI DAY an der Grundschule am Rosenbusch

In Hessisch Oldendorf bei Hameln liegt die „Grundschule am Rosenbusch“. Dort realisieren die Kinder bereits seit eineinhalb Jahren am FREI DAY eigene Zukunftsprojekte. Tina Vahldieck erzählt von diesen vielfältigen Projekten, davon wie so ein FREI DAY-Freitag aktuell aussieht und wie sie den FREI DAY überhaupt an die Schule geholt haben.

Hallo Tina! Danke, dass du dir die Zeit nimmst, von eurem FREI DAY zu erzählen. Ihr habt den FREI DAY ja bereits vor eineinhalb Jahren eingeführt. Wie kam es dazu?

Anfang 2019 haben wir uns dem Schule-im-Aufbruch-Netzwerk in Niedersachsen angeschlossen und sind dann bei den Netzwerktreffen im März und im Juni gewesen – und da brachte Margret die Idee auf: „Lasst uns doch einen FREI DAY machen, einen Projekttag zum Thema Zukunft – wir als Schulen im Aufbruch. Das wäre doch eine gute Idee.“ Das kam auch gut an, aber gleichzeitig schien die Umsetzung noch in weiter Ferne: „Na ja, wir gucken erst einmal und dann müssen wir uns was überlegen und wir schreiben mal ein Konzept.“

Meine Kollegin und ich, wir waren mit unserer Schulleiterin dort und haben gleich gesagt: „Wir finden das so cool, wir wollen das unbedingt machen und wir wollen nicht noch drei Jahre warten. Wir wollen das jetzt machen.“ Unsere Schulleiterin hat uns da von Anfang an total unterstützt. Also haben wir direkt nach den Sommerferien angefangen – wir waren fast ein bisschen traurig, dass erstmal sechs Wochen Ferien sind.

Wow, das ging schnell! Wo habt ihr denn so schnell die Stunden hergenommen?

Genau das war am Anfang die Frage: “Wo können wir die Stunden hernehmen, wie können wir das rechtfertigen?” Wir haben uns die Stunden dann aus der Stundentafel genommen – jeweils eine aus Mathe, Deutsch, Kunst, Werken und Sachunterricht, sodass wir diese vier Stunden jede Woche zur Verfügung hatten. Die haben wir dann in die ersten vier Stunden am Freitag gelegt. 

Außerdem ist BNE ja in allen Kerncurricula verankert – im Sachunterricht natürlich ganz besonders, aber auch in Mathe, Deutsch und Kunst ist überall ein Abschnitt über Bildung für nachhaltige Entwicklung vorhanden. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit Eltern war das auch wichtig für uns. Wir haben das alles ausgedruckt und die entsprechenden Stellen hervorgehoben – nämlich die, bei denen auf die Förderung der Eigenverantwortung der Kinder, die Selbstwirksamkeitserfahrungen und auch die Position des Lehrers als Lernbegleiter hingewiesen wird. 

Außerdem konnten wir auf den Nationalen Aktionsplan BNE verweisen, der besagt, dass man Freiräume zu schaffen hat, damit Kinder sich mit Zukunftsthemen beschäftigen können und ihre Umwelt mitgestalten. Von daher waren wir aus dieser Perspektive auf der sicheren Seite. 

Die Rahmenbedingungen hattet ihr also geschaffen, wie seid ihr dann mit dem FREI DAY gestartet?

Nach den Ferien haben wir den Kindern erst mal gesagt: „So FREI DAY for Future, was könnte das sein? Was machen wir da?“ Wir haben erst einmal angefangen, Videos bei YouTube über die 17 Ziele anzuschauen, zum Beispiel das Video von Malala „The World’s largest lesson“. Dadurch wurden die Kinder zum Nachdenken angeregt: „Ja, wie? Ein Dach über dem Kopf ist doch klar für uns. Und dass wir alle eine Toilette haben, ist doch auch klar und dass wir in die Schule gehen sowieso.“ 

Es ging uns darum, den Kindern zu zeigen, dass es nicht überall auf der Welt so ist wie hier und wir uns damit beschäftigen müssen, dass es besser wird auf der Welt. Dafür hat ja die UN diese 17 Ziele entwickelt.

Am Anfang haben wir zunächst zu den Zielen gearbeitet, damit die Kinder überhaupt verstehen, worum es dabei geht und warum wir das Ganze machen. Damals konnten wir mit den beiden Klassen – einer dritten und einer vierten – noch jahrgangsübergreifend arbeiten. Wir haben zu jedem Ziel eine Gruppenarbeit gehabt und die Kinder haben Vorträge darüber gehalten. Mit zwei bis drei Kindern haben sie vor einer riesigen Gruppe von 50 Kindern und vier Erwachsenen gestanden und voller Stolz und Überzeugung ihr Ziel präsentiert und erklärt. Das war total cool!

Mittlerweile habt ihr den FREI DAY ja in allen Klassen eingeführt. Wie habt ihr es geschafft, die gesamte Schulgemeinschaft mit ins Boot zu holen?

Anfang letzten Jahres hatten wir eine schulinterne Fortbildung mit Margret Rasfeld und haben dann überlegt: „Wie können wir unsere Schule voranbringen? Was können wir machen?“ Wir hatten ganz viele Ideen, auch zu Lernlandkarten oder zum Projektunterricht, und ein Ergebnis war, den FREI DAY zum nächsten Schuljahr – also zu diesem – für die ganze Schule einzuführen.

Für uns war es genau das Richtige, dass wir den FREI DAY im Sommer 2019 einfach gestartet haben und gesagt haben: “Wir gucken mal, was passiert.“ Letztendlich sind wir da mit den Kindern reingewachsen. Außerdem konnten auch die Kollegen und die anderen Kinder schon sehen, was am FREI DAY so passieren kann.

Wir hatten zum Beispiel eine tolle Aktion vorletztes Jahr im Herbst auf dem Martini-Markt im Ort. Dort hatten wir einen Stand, haben die 17 Ziele präsentiert und nachhaltige Produkte verkauft. Den Erlös haben wir dann gespendet für “Forikolo“ – ein Verein, der Schulen baut in Sierra Leone. 

Das fanden die anderen Kinder natürlich alle beeindruckend, weil sie gesehen haben: „Die Dritt- und Viertklässler, die stehen in dieser Bude und erzählen total selbstbewusst anderen Leuten etwas über die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN und haben daraus so eine tolle Aktion gemacht.” Es war total schön zu sehen, dass sich dann alle schon gefreut haben, auch einen eigenen FREI DAY machen zu können.

Wie kann ich mir das vorstellen, wie läuft denn so ein “FREI-DAY-Freitag“ bei euch ab?

Bei der ersten und zweiten Klasse weiß ich es nicht ganz genau, aber ich denke, die werden auch genau wie wir mit einer “Freitagsrunde” starten. Dort setzen sich alle erst mal zusammen und dann werden Ideen besprochen. 

Meine Klasse kommt inzwischen mit wahnsinnig vielen Sachen, die ihnen einfach so im Alltag aufgefallen sind. Die achten zum Beispiel darauf, was die Lebensmittelgeschäfte in den Werbungen haben. Manchmal entdecken sie oder auch die Familie etwas in Zeitschriften. 

Neulich kam ein Mädchen und sagte: „Hier, das hat mein Bruder für mich in der Zeitung gefunden, das wollte ich mal mitbringen und euch zeigen.“ Da ist in Holland eine Bushaltestelle mit einer Blumenwiese bepflanzt worden, um auch in der Stadt Lebensraum für Bienen zu schaffen. Oder sie haben entdeckt, dass Einmal-Geschirr aus Bambus hergestellt werden kann und über sowas tauschen wir uns dann da aus.

Das können natürlich genauso schon die Erstklässler machen, wenn sie auf Themen aufmerksam gemacht werden und ein Bewusstsein dafür bekommen. Über diese Dinge kann man sich dann austauschen und daraus können wiederum Ideen entstehen, woran man heute arbeiten möchte. 

Wir als Lehrer haben natürlich auch immer etwas in petto, was für die Kinder interessant sein könnte. Ich like in sozialen Netzwerken viele Seiten wie zum Beispiel den NABU oder den WWF. Davon nehme ich immer viele Anregungen mit in den FREI DAY. Teilweise sind die Kinder völlig entsetzt über irgendetwas, teilweise wollen sie sich Feuer und Flamme für irgendetwas einsetzen, zum Beispiel durch Online-Petitionen.

Diese “Freitagsrunde” ist dann immer der Start und in den höheren Klassen gehen wir danach in die Projektarbeit und in den ersten/zweiten wird eher ein Thema angeboten. Die machen beispielsweise irgendwelche Experimente. 

Neulich hatte eine Kollegin aus einer ersten Klasse etwas bestellt und das Paket war ausgestopft mit Material. Als sie das alles in den Müll schmeißen wollte, hat sie gemerkt, dass es aus Mais hergestellt war und sich auflöste. Dann haben sie alles aus dem Müll wieder rausgeholt und erst mal ein Experiment dazu gemacht – mit einem normalen Verpackungsmaterial aus Plastik und mit diesem, was sich tatsächlich im Wasser aufgelöst hat.

Wie ist das denn gerade unter Corona-Bedingungen?

Man kriegt natürlich aktuell nicht so viel von den anderen mit. Wir Kollegen sehen uns nur noch ganz selten durch versetzte Pausenzeiten. Die Kinder sehen sich untereinander in den Jahrgängen gar nicht mehr, weil sie zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedlichen Höfen sind. Eigentlich haben wir die Vision, dass wir komplett klassen- und jahrgangsübergreifend arbeiten können – das geht natürlich momentan nicht. 

Trotzdem ist es unglaublich schön, Freitagmorgen in die Schule zu gehen und zu wissen: Alle arbeiten an Zukunftsthemen und beschäftigen sich im weitesten Sinne mit den 17 Zielen. Das ist einfach ein tolles Gefühl morgens! 

Außerdem haben wir eine Freitagmorgen-Ansage etabliert, bei der immer eine Klasse morgens eine Durchsage für alle macht: „Wir freuen uns, dass heute Freitag ist. Wir begrüßen euch zum FREI DAY und wir arbeiten gerade da und daran. Das und das könnte eine tolle Idee sein. Vielleicht habt ihr auch Lust dazu.“ 

Meine Klasse hat da zum Beispiel den Bau des Fehmarnbelttunnels vorgestellt. Inzwischen wurde das Projekt ja genehmigt, aber zu dem Zeitpunkt haben sie noch gehofft, dass das Projekt nicht zustande kommt. Sie haben dann die anderen Kinder dazu aufgefordert, ihren Eltern zu sagen, dass sie bitte die Online-Petition dagegen unterschreiben sollen und haben einen Video gemacht für YouTube und eine Plakatwand erstellt. 

Wir haben dann sogar gesehen, dass auch andere Klassen das aufgenommen haben und Plakate aufgehängt haben mit „Stoppt den Bau des Ostseetunnels“. Das war total schön!

Toll, dass die Kinder trotzdem die Möglichkeit haben, ihre Projekte zu präsentieren und ihre Wirksamkeit zu erleben. Habt ihr dafür noch weitere Formate?

Wir haben einen sehr gut gefüllten Blog, in dem wir ganz viel hochladen, was so passiert: einzelne Geschichten oder Vorträge, die die Kinder gemacht haben oder auch Informationen über das Schulgeschehen. Zum Beispiel haben wir Weihnachtskarten für das Altenheim geschrieben unter dem Aspekt des Ziels 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ und festgestellt, dass man gerade in Corona-Zeiten auf seine Mitmenschen achten sollte. Das steht dann auch auf unserem Blog

Außerdem haben wir einen YouTube-Kanal, der auch schon recht gut gefüllt ist. Die Kinder haben zum Beispiel Stop-Motion-Filme zu Umweltthemen gemacht, die sie dort hochgeladen haben. Dann hat jetzt gerade letzte Woche – das war total cool – ein Junge gesagt: „Frau Vahldieck, ich habe die Idee: Ich mache eine FREI DAY-Show!“ Nun hat er seine erste Show aufgenommen, in der er die 17 Ziele vorstellt, sich Nachhaltigkeits-Tipps für Geschäfte überlegt und noch etwas zu Müll im Winter erzählt. Das Format möchte er auch weiterhin etablieren und arbeitet bereits an der zweiten Show. 

Außerdem haben wir ein Hörspiel aufgenommen, mit dem wir an einem Hörspiel-Wettbewerb teilgenommen haben. Das heißt „Die kleine Maus Liese und das Plastik“. Ein Mädchen hat das Drehbuch dafür geschrieben bzw. einen Plot und den dann mit Kindern aus der Klasse gemeinsam aufgenommen.

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Du führst den FREI DAY nun schon seit eineinhalb Jahren durch, was sind für dich bedeutsame Veränderungen? 

Ich merke, dass der Blick der Kinder geschärfter ist für ihre Umwelt. Und natürlich nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei uns Erwachsenen: Ich kaufe mittlerweile auch feste Seife und festes Shampoo und nicht mehr die 10er-Packung mit den Einmal-Plastik-Kugelschreibern, sondern einen Kugelschreiber mit Nachfüllmine. 

Außerdem tragen die Kinder ihre Erkenntnisse in ihre Familien weiter. Da passiert dann wiederum auch viel, sodass wir von Eltern immer wieder hören: „Wir sind neulich einkaufen gegangen und ich wollte die Weintrauben in der Plastikverpackung kaufen und mein Kind hat mir gesagt, dass ich das nicht machen könne und doch lieber die unverpackten nehmen solle.“ 

Wenn ich mir das so überlege: Ich bringe das in meine eigene Familie und die Kinder bringen das in ihre Familien und vielleicht zu den Großeltern. Das hat schon eine große Wirkung! Natürlich ist es für die Kinder toll zu sehen, was sie selbst alles erreichen können. 

Neulich habe ich zum Beispiel in einer Freitagsrunde erzählt, dass ich bei uns in der Nähe in einem Unverpackt-Laden war. Zwei Mädchen waren sofort Feuer und Flamme und haben gesagt: „Oh, das finden wir cool, da recherchieren wir mal nach.“ Unter anderem haben sie auch diesen Unverpackt-Laden gefunden und hatten dann die Idee, ein Interview mit der Inhaberin zu führen. 

Zuerst wollten sie eine E-Mail hinschreiben, haben aber keine E-Mail-Adresse gefunden, sondern nur eine Telefonnummer. Also mussten sie dort anrufen und waren ganz aufgeregt. Ich habe dann zu ihnen gesagt: „Ich kann euch da nicht helfen, weil ich nicht höre, was sie sagt. Ihr habt den Hörer.“ 

Sie haben also ganz alleine dort angerufen, haben gesagt, wer sie sind und was sie machen und haben gefragt, ob sie ein Interview geben würde. Danach waren die beiden unglaublich stolz, dass sie das ganz alleine geregelt haben. Letztendlich ist daraus ein ganz, ganz langes Interview entstanden. 

Ein anderes Erlebnis, das mich sehr geprägt hat, war Anfang des Jahres: Ein paar Mädchen aus meiner Klasse hatten die Idee, einen Kiosk zu machen bei uns an der Schule und gesunde Sachen zu verkaufen. Das Geld wollten sie anschließend wieder dem Verein Forikolo zukommen lassen. 

Sie haben sich dazu alles selber überlegt: wie sie das planen wollen, wer da helfen soll, was das alles kosten soll und was sie brauchen. Damit haben sie sich dann vor die Klasse gestellt und erst mal alles erklärt und anschließend Fragen angenommen. Sie haben das komplett selber gemanagt und das war so schön zu sehen, was sie dabei für eine Selbstwirksamkeitserfahrung hatten. Ich als Lehrerin habe da hinten gesessen und habe gedacht: „Cool, ihr macht das schon!“ (lacht.) 

Ein super Schlusssatz! Es ist total inspirierend von dir zu hören, was durch die Freiräume beim FREI DAY für Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten für die Schüler*innen entstehen. Vielen lieben Dank, dass du uns daran hast teilhaben lassen!

Tipps & Tricks von der Grundschule am Rosenbusch

  • Freitagsrunde: Jeden Freitag zu Beginn des FREI DAYs kommen alle Schüler*innen zusammen und tauschen sich über Artikel, Situationen oder andere Dinge aus, die ihnen im Alltag aufgefallen sind. Auch die Lehrperson kann in diesem Zusammenhang auf spannende Themen hinweisen. Diese können wiederum als Ausgangspunkt für neue Projektideen dienen.
  • Freitagmorgen-Ansage: Jeweils eine Klasse begrüßt am Freitagmorgen über eine Durchsage die gesamte Schule zum FREI DAY. Darüber hinaus stellt sie ihre aktuellen Projekte vor und gibt Anregungen für weitere Projektideen.
  • FREI DAY-Blog und YouTube-Kanal: Auf dem FREI DAY-Blog haben die Schüler*innen die Möglichkeit, ihre Projekte in Form von Artikeln, kurzen Texten, Bildern und Videos zu präsentieren. Zusätzlich können sie Videos von Projektergebnissen auf dem YouTube-Kanalder Schule veröffentlichen.

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